Neulich, als ich mit meinen Eltern und Jimmy unterwegs war und wir ’ne Nacht in einem Waldhotel übernachtet haben, überkam mich die Lust, spätabends, als es schon dunkel war, zu joggen. Und zwar um den See, an dem unser Haus lag. Die Ruhe des Wassers. Die warmen verschwommenen Lichter am anderen Seeufer. Die Aussicht, für eine Zeit lang einfach nur für mich zu sein. Doch ich wusste weder, wie viele Kilometer es um den See waren, noch kannte ich die Laufrunde, die zum Teil durch waldige Abschnitte zu führen schien; zudem war es bitterkalt. Aber mir war’s egal. Ich wollte um den See joggen.
Doch als ich meine Schuhe schnürte und den anderen erzählte, was ich vorhatte, waren sie da, die Bedenken.
„Spinnst du?“, „Was da alles passieren kann!“, „Mach’s dir doch lieber hier gemütlich!“, „Musst du immer unsere Nerven belasten? Kannst du nicht einmal wie ein normaler Mensch abends auf den Sofa liegen?“
Und ruck zuck hatte auch ich Bedenken. Ein bisschen unvernünftig war’s ja schon … und kalt … und sicher weit, die Strecke. Und ja, ein bisschen Schiss hatte ich plötzlich auch. Allein; nachts in der Natur; in einer fremden Gegend; wer und was sich hier wohl alles in der Dunkelheit so rumtreibt ….
Aber wisst ihr was? Meine Eltern und mein Jimmy kennen mich schon: Gerade wenn ich spüre, dass mich meine Ängste packen, um mich von etwas abzuhalten oder – was in unser aller Leben viel häufiger der Fall ist – dass ich die Ängste anderer aufnehme, tue ich das, was ich tun will, erst recht.
Nicht falsch verstehen: Ich bin nicht unvernünftig. Ich wäge die ins Feld geworfenen Bedenken wirklich ab; gucke, wie viele reale Gefahren in den Ängsten stecken – ich bin ja nicht lebensmüde; ich lebe gern. Und nein; ich verhalte mich auch nicht egoistisch, was oft behauptet wird, wenn man etwas tut, das den anderen nicht passt. Niemals würde ich wichtige, grundlegende Entscheidungen ohne die Zustimmung meiner Lieben treffen. Sie sind schließlich mein Leben; mein Ein und Alles.
Aber ich will nicht, dass die Angst bestimmt, was ich tun oder lassen soll. Die, die mir am Herzen liegen – wenn sie denn wirklich bei sich selbst sind – dürfen über mich mitbestimmen. Aber nicht deren destruktive Ängste. Und auch nicht die meinen.
Denn wenn wir uns von Ängsten und/oder von anderen Menschen kontrollieren lassen, verliert unser Leben an Leichtigkeit.
Klar, es gibt es immer Zwänge, in denen man steckt. Wir haben Familie, einen Beruf, eine Verantwortung. Aber wir sind keine Kinder mehr. In der Regel wissen wir, was wir tun oder tun wollen und können. Und was fern jeder Vernunft ist.
Ich versuche tagtäglich, mich nicht kontrollieren zu lassen. Denn wenn ich andere über mich bestimmen lasse, versinke ich, so empfinde ich das, in Melancholie und Konformismus. Ich unterdrücke dann mein wahres Ich und lasse zu, dass ein Schein-Ich an seine Stelle tritt. Kurz mag das gutgehen, aber nicht auf Dauer. Denn niemand kann auf lange Sicht nicht er selbst sein, ohne zum fremdgesteuerten Zombie zu werden, der nur die Erwartungen anderer erfüllt.
Soll heißen: Ich habe mit meinen Eltern und mit Jimmy gesprochen – und auch mit meinen durch sie aufgekommenen Ängsten. Ich habe versucht, die Situation realistisch einzuschätzen und bin dann um den See gejoggt.
Ehrlich: Es war großartig. Mit jedem Schritt, den ich lief, erfüllte mich eine innere Zufriedenheit, wie ich sie lange nicht gespürt habe. Eine Ruhe. Ein Glückseligkeit. Und auch ein Hauch von Stolz, weil ich ich war. Und wisst ihr was? Ich war auch gar nicht der Einzige auf der Runde. Mir kam ein Obdachloser mit seinem Wagen entgegen – der hat nett gegrüßt. Ich habe eine Joggerin getroffen – sie hat wissend und freundlich genickt. Und – jetzt kommt etwas Magisches – als ich an einer Stelle war, die tatsächlich etwas düster und unheimlich war, hörte ich plötzlich Musik. Schöne Musik.
Ich bin den Lauten gefolgt – und stand plötzlich in einer Gruppe von vielleicht 15 anderen Zuschauern, die ebenso fasziniert geguckt haben, weil sich mitten in der Nacht mindestens dreißig Leute zum Musizieren und Singen eingefunden haben. Direkt am See.
Lange habe ich nicht zuhören können, obwohl die Musik das Herz aller Anwesenden erfüllt hat. Denn wie gesagt – es war arschkalt. Aber sicher fünf Minuten noch begleiteten mich die wundervollen Laute der Musiker, die über den See getragen wurden, auf meiner weiteren Runde, die mich nicht nur um die See führte. Sondern auch ein kleines Stückchen weiter auf dem Weg zu mir selbst.
Ich wünsche euch einen herrlichen Mittwoch! Die Sonne scheint schon wieder; macht was draus!
Euer Tommy
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