Hey, Madonna, altes Haus. Ich hab gedacht, ich melde mich mal wieder. Jetzt, wo du heute 60 wirst. Die Zeit rast, Freundin, und wir hinken hinterher.
Weißt du noch, unser erstes Treffen?
Wenn Blicke töten könnten! Ich fand dich Plastik, künstlich, irgendwie zu „amerikanisch“.
Das Schlimmste aber war dein „Like a Virgin“. Jungfrau – das hat mir richtig Schiss gemacht. Ich hab gedacht, ich müsste es. Wollte mich dazu zwingen. Doch mit einem Mädchen intim zu werden, fühlte sich befremdlich an. Ich konnte es nicht, und dein Lied war der Radiogeist, der mich Tag für Tag daran erinnert hat, dass ich anders, „nicht normal“ war. Dass ich vielleicht nie lieben, immer einsam bleiben würde.
Du und ich, wir beide haben uns gehasst. Und das von ganzem Herzen.
Dann, Jahre später, aber passiert es. „Like a Prayer“. Du hattest im Video blutende Stigmata an den Händen, hast eine Heiligenfigur weinen lassen, die nicht nur an Jesus erinnerte, sondern die auch noch farbig war. Damit hattest du mich. Ein – wenn auch dem Markennamen Madonna geschuldeter – Aufruf gegen Rassismus, gegen Religionswahn. Und dann noch fröhliche Ausgelassenheit in einer Kirche. Mann, das waren reichlich Tabus. Aber manchmal muss man sie halt brechen, um etwas in Gang zu setzen.
Denkst du auch noch oft daran, wie wir uns zu dieser Zeit zaghaft angenähert haben? Du, die Sexbombe, ich, der düstere Freak, die „Schwuchtel“, die auf dem Schulhof, auf dem Heimweg und ja, sogar einmal im rappelvollen Bus vor allen Leuten verkloppt wurde? Nur weil das Gerücht die Runde machte, dass ich Jungs mochte? Gott, was hasste ich es, darauf reduziert zu werden. Ich war doch so viel mehr als das. Ich war doch der Tommy!
Arschlöcher, echt!
Du aber hast mich genommen, wie ich war. Vor allem hast du mir in Videos gezeigt, dass schwule und lesbische Liebe nicht hässlich ist. Dass sie schön, normal, ästhetisch ist.
Und Mensch, was hab’n wir beide dann zusammen abgefeiert! Weißt du noch, wie wir nach der Blue-Curaçao-Orgie gemeinsam über der Schüssel gehangen und unsere Hand gehalten haben? Oder wie wir uns in „Grüne Tomaten“ gegenseitig die Taschentücher reichten? Oder wie ich dich mit in meine Black-Metal-Disco genommen habe und du in deinem Blumenkleid auf der Box gemosht hast?
Schon komisch, das mit uns.
Wir sind grundverschieden. Und nicht alles, was du machst, kann ich gutheißen. Aber vielleicht ist genau das, was eine Freundschaft ausmacht.
Den anderen als den Menschen zu akzeptieren, der er ist.
Verstehen, dass es auch mal Zeiten gibt, in denen man sich selten meldet.
Zu wissen, dass man, um sich zu mögen, nicht immer einer Meinung sein muss.
Ach ja, Süße, unsere Freundschaft ist schon strange.
Wir sind strange. Beide.
Aber es funktioniert. Schon so lange.
Es ist ein leises Wir. Aber ein Wir von Dauer. Was leider viel zu selten ist im Leben.
60? Ehrlich, Schnucki – das ist scheißenalt. Irgendwie. Und ich muss nur mit dem Finger schnippen, dann bin’s auch – alt (Fuck, bald ist schon wieder dieses verdammte Weihnachten!). Andererseits: Wer lässt sich schon von einer Zahl sagen, wie er zu sein, wie er zu leben hat?
Wir nicht, gell?
In diesem Sinn, lass dich drücken, Süße!
Happy Birthday, Madonna!
Hab dich lieb … irgendwie.
Dein Tommy
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