Was mir von damals im Gedächtnis blieb

Mensch, Mensch, Mensch, wie spät ist es? Bald 23 Uhr. Puh, ich glaube, so spät hab’ ich noch nie etwas gepostet (außer, ich hatte einen gebechert, was ich natürlich niemals tue, neeein!). Doch es ist wie bei ’ner Runde geilem Sex – irgendwann muss es einfach raus.
Ihr habt’s schon mitbekommen, oder? Ich meine, den Medien kann man heutzutage ja kaum entfliehen. Selbst ich, da ich sie bewusst einschränke (mit FB könnt ihr mir aber einen Spiegel vorhalten, klar!), hab’s mitbekommen: Heute ist Zirkeltag. 28 Jahre, 2 Monate und 26 Tage teilte die Mauer unser Land. Und genau so lange ist sie nun schon weg.
Zirkeltag. Allein bei dem Wort bekam ich heut’ die Krise. What the fuck? Wieso müssen immer so aufmerksamkeitserhaschende Namen her? Ich plädiere für einen Leck-mich-am-Arsch-Tag – und selbst der würde aufgegriffen werden.
Dennoch ist da die ganze Zeit schon was in mir drin. Gefühle, die ich nie vergessen werde.
Mein Papa – ihr seht ihn auf dem Bild – hatte seinen Papa, also meinen Opa, in der DDR. Seine Familie wurde durch die Grenze entzweit. Meine Familie. Und ab und zu sind wir rüber in den Osten.
Ich weiß das noch, obwohl ich ein Kind war damals. Ich weiß noch, wie das Auto voller Angst war, als wir an die Grenze kamen und durchsucht wurden. Okay, meine Eltern waren Hippies und so, aber clever genug, keinen Joint dabei zu haben. Trotzdem war’s, gerade für mich als Kind, die Hölle. Mein Teddybär wurde mir abgenommen, wir mussten ewig wie Verbrecher in der Kälte stehen, und die beiden LP’s von Peter Maffay und Fleetwood Mac, die meine Eltern für unsere Family im Osten als Schmuggelware dabei hatten, lugten drohend aus ihrem Versteck hervor. Einmal hatten wir uns verfahren – und wurden gewaltsam gestoppt. Ich hatte mir vor Schiss fast in die Hose gemacht … und vielleicht hab ich das sogar.
Und dann die Besuche selbst. Mein Opa und seine Kinder und deren Kinder (also meine Cousinen) – glücklich waren die schon (ich bin der Letzte, der heute, aus meiner Sicht, sagen würde, dass dort alles kacke war). Also glücklich waren sie schon irgendwie. Aber nicht frei. Scheiße, was freuten sich mein Papa und die anderen, sich zu sehen, dennoch hieß es ständig: Vorsicht! Leise sein! Nicht laut reden! Nicht dorthin gucken! Nix sagen! Nicht aus dem Fenster sehen! Nicht lachen!
Es war, wenn Westbesuch da war, das habe selbst ich als Kind mitbekommen, beklemmend. So habe ich es jedenfalls empfunden. Und Tränen sind jedes Mal geflossen, wenn wir wieder gefahren sind.
Heute ist mein Opa schon lange tot, und den Rest, auch meine Cousinen, „aus dem Osten“ sehe ich selten. Aber dennoch ist mir eines stets bewusst: Demokratie ist nicht selbstverständlich. Scheiße, nein. Demokratie ist NICHT selbstverständlich. Und die Mauer ist auch NICHT gefallen. Das klingt so easy, so selbstverständlich. Es waren Menschen, die ihre Stimme erhoben haben. Menschen haben die Mauer einstürzen lassen. Und deswegen sitze ich – viel zu spät – hier und schreibe den Text. Demokratie ist nicht selbstverständlich. Und Mauern stürzen nicht von selbst ein. Jeder von uns hat eine Stimme – nicht nur bei der Wahl. Jeden Tag. Und ich fänd’s toll, wenn viele sie achtsam nutzen würden.
Schlaf gut, ihr Lieben!
Ich gehe jetzt gleich pennen und träume hoffentlich nicht vom beklemmenden Gefühl, das ich damals an der Grenze hatte.
Bis morgen, da melde ich mich (da wir in einer Demokratie leben, kann ich mir da, sofern ich heute Nacht nicht abnippel, sicher sein)
Euer Tommy

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